Dieser Beitrag wurde von Alexander Graf (rnv-Mitarbeiter im Bereich Unternehmenskommunikation) erstellt.
Der „modernste Bahnhof Europas“ – Verkehr auf vier Ebenen
In diesen Tagen jährt sich der runde Geburtstag eines besonderen, jedoch nicht immer im absoluten Vordergrund stehenden Verkehrsbauwerks, das gleichzeitig ein markantes Stück Zeit- und Stadtgeschichte darstellt: Der heutige Ludwigshafener Hauptbahnhof feiert in diesen Tagen seinen 50. Geburtstag. Getreu dem bekannten Hit über die Ruhrmetropole Bochum mag man vielleicht zunächst meinen „Du bist keine Schönheit. Vor Arbeit ganz grau..." Und ja, der zeitgenössische Charme der betondominierten Ästhetik der späten 60er Jahre ist mit dem heutigen Blick auf Architektur und Design vielleicht nicht unmittelbar nachvollziehbar. Auch mag der Gesamtkomplex manchmal etwas merkwürdig verschachtelt wirken, manch einem mag es gar schwierig bis unmöglich sein, auch nur einen annähernden Überblick über alle Brücken, Überführungen, Treppen und Tunnel zu gewinnen. Aber andererseits ist „Retro" als Trend ja auch wieder sehr im Kommen und oft stecken hinter einer eher unscheinbaren Oberfläche auch interessante oder gar geheimnisvolle Details.
Alles in allem ein guter Anlass, um der bei der Eröffnung im Jahr 1969 einhellig als „modernster Bahnhof Europas" gewürdigten Verkehrsstation eine angemessene Referenz zu erweisen, und um gleichzeitig einen kurzen Blick auf die bewegte Geschichte von Verkehrsdrehscheibe und Nahverkehrsanbindung zu werfen. Hierbei danken wir dem Stadtarchiv Ludwigshafen für die freundliche Unterstützung bei der Sichtung der Pläne und Unterlagen sowie für Bereitstellung der schönen zeitgenössischen Fotos.
Stadtgestaltung, Verkehr und Modernität
Der heutige Ludwigshafener Hauptbahnhof ist ein Kind der 50er und 60er Jahre, auch wenn erste diesbezügliche Ideen teils noch deutlich weiter zurückliegen. Wirtschaftswachstum und steigende Verkehrszahlen führten in Wissenschaft, Politik und Verwaltung vermehrt zur Einschätzung, dass dem anschwellenden Verkehrsstrom langfristig nur mit einer Entflechtung der einzelnen Verkehrsmittel beizukommen sei. Dementsprechend war der Neubau des Ludwigshafener Hauptbahnhofes in seiner aktuellen Form und an der heutigen Stelle in ein Gesamtkonzept aus Hoch- und Schnellstraßen, Eisenbahnlinien und teils unterirdisch geführten Straßenbahnstrecken eingebunden – noch heute zeugen manche Regalmeter an Plänen von der damaligen intensiven Planungstätigkeit der Ingenieure und Verkehrsexperten. Dabei verfolgte man mit dem Neubau des Ludwigshafener Hauptbahnhofes gleich mehrere wichtige und anspruchsvolle Ziele: So versuchte man nicht nur, den Eisenbahnknoten mit seinen komplexen Verbindungen in Richtung Mannheim, Worms, Schifferstadt und zur BASF neu und effizient zu ordnen, man wollte gleichzeitig auch Raum im Herzen der City gewinnen, den Automobilverkehr beschleunigen und eine neue, moderne Ära des öffentlichen Nahverkehrs einläuten. Bekanntlich lag der ursprüngliche Ludwigshafener Hauptbahnhof als Kopfbahnhof etwa im Bereich des heutigen Rathaus-Center-Komplexes. Dies war zwar nah an der Innenstadt, jedoch für den durchgehenden Eisenbahnbetrieb nicht ideal und auch mit einer gewissen städtebaulichen Trennwirkung verbunden… waren die Pläne zur Verlegung des damaligen alten Hauptbahnhofs also gar ein früher Vorläufer von Stuttgart 21? Auch wenn diese Frage unbeantwortet bleiben muss ist unbestritten, dass durch die Bahnhofsverlegung, die mit einem umfassenden Vertragswerk geregelt ist, Raum für eine neue Nutzung der ehemaligen Bahnanlagen frei wurde. So konnte die bis heute prägende Innenstadtgestaltung entwickelt und die Hochstraße Nord sowie das Rathaus-Center baulich umgesetzt werden. Der Hauptbahnhof zog dafür etwas nach Westen in seine heutige Position um und glänzt seither mit seinem charakteristischen Pylon und der einzigartigen Dreiecksform als verkehrliche Landmarke Ludwigshafens, auch wenn der zur Jahrtausendwende eröffnete Bahnhof Ludwigshafen Mitte am Berliner Platz heute einen Teil der Verkehrsfunktionen übernommen hat.
Architektur made in the Sixties
Kühn und modern wurden dabei die verschiedenen Verkehrsebenen übereinandergestapelt, wurden kreuzungsfreie Abfahrten und Verzweigungen der Hochstraßen in Stahlbeton gegossen, wurden Bundesbahngleise und Bahnsteige errichtet, wurden Fußgängertunnel, U-Straßenbahnhaltestelle und Bahnhofsplatz konzipiert, um einen großen, neuen Gesamtentwurf eines Verkehrsknotens der Zukunft zu formen.
Dass das eigentliche Bahnhofsgebäude dabei allerdings recht zurückhaltend bis unspektakulär geraten ist, mag aus heutiger Sicht untypisch anmuten, passt bei genauerer Betrachtung aber gut ins damalige Verständnis einer eher funktionalen Architektur. Wabenförmige Dachformen erinnern dabei an bekannte Deko-Elemente früher Quizshows des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.
Und unten die Straßenbahn…
Natürlich sollte auch der öffentliche Nahverkehr vom Neubau profitieren. Das Zauberwort der damaligen Planung war die sogenannte „zweite Ebene", also das abschnittsweise Verlegen der Straßenbahn in Tunnel oder auf Brücken und Viadukte, um besonders schnell und ungestört vorankommen zu können. Dementsprechend wurde die in ihrer Grundform auch heute noch von der von uns betriebene U-Straßenbahnhaltestelle und die Tunnelzulaufstrecken in Richtung Bürgermeister-Kutterer-Straße, Richard-Dehmel-Straße und Rohrlachstraße geplant und gebaut – natürlich zukunftsweisend und großzügig mit vier Gleisen, drei Bahnsteigen, Rolltreppen und schmucken Abgangspavillons, ursprünglich sogar noch ergänzt um eine weitere tiefliegende Haltestelle „Ostsperre" auf der Rückseite des Bahnhofes. Über die Jahre konnte die Anlage immer wieder ihre Leistungsfähigkeit und Flexibilität unter Beweis stellen. Naturgemäß wurden dabei auch technische Anpassungen und Modernisierungen vorgenommen, Signale installiert, Schilder erneuert, digitale Anzeigen nachgerüstet oder wie kürzlich neue Stellwerkstechnik eingebaut. Doch der unverkennbare Geist der 60er und frühen 70er Jahre ist auch heute noch in unserer Haltestelle präsent und erlebbar – je nach Sichtweise eben Retro-Kult oder schlicht praxisnahe und haltbare Betonarchitektur.
Fakten, Mythen und Legenden
Um den Ludwigshafener Untergrund ranken sich manche Gerüchte und Vermutungen, teils ist von umfangreichen Bauvorleistungen bei U-Straßenbahn und Stadtbahnbau die Rede, daher ist die unterirdische Ludwigshafener Bahnwelt nicht nur bei Tunnelfreunden ein immer wieder intensiv diskutiertes Thema. Tatsächlich gibt es im Bereich der heutigen Haltestelle LU Hauptbahnhof einige interessante Bauwerke und Tunnelstutzen, die für eine mögliche Erweiterung des U-Straßenbahn beziehungsweise des später geplanten unterirdischen Stadtbahnnetzes gedacht waren. Neben der Verbindung der Gleise 3 und 4 in Richtung Südweststadion gab es von dort aus ursprünglich eine weitere unterirdische Gleisverbindung in Richtung LU Rathaus (eröffnet als Hauptpost) über Danziger Platz. Auch von Gleis 1 war eine Anbindung in Richtung Danziger Platz baulich berücksichtigt worden. Die heutige Tunnelrampe unserer Bahnlinien 4 und 10 in Richtung Rohrlachstraße und Marienkirche ist baulich gesehen auch nur eine provisorische Rampe, unter der der Tunnel bei Bedarf noch in Richtung Hauptfriedhof hätte verlängert werden können. Ein Teil dieses Tunnels wurde unter der Rampe im Rohbau tatsächlich auch schon mit errichtet. Auf der Südseite der Haltestelle LU Hauptbahnhof gibt es ebenfalls zwei sehr kurze Tunnelstummel in Richtung der Kaiser-Wilhelm-Straße, die zur Anbindung eines Straßenbahn-Rheintunnels nach Mannheim gedient hätten.
Ludwigshafen: Infrastruktur im dynamischen Wandel der Zeiten
Man sieht, die Stadt Ludwigshafen und insbesondere auch der öffentliche Nahverkehr haben sich stets weiterentwickelt und an die neuen Rahmenbedingungen, Möglichkeiten und Anforderungen angepasst. Auch heute ist dieser Prozess noch längst nicht abgeschlossen: Mit dem Stadtumbau „City West" und der geplanten Umgestaltung der Hochstraße Nord in eine ebenerdige Stadtstraße samt neuem Stadtquartier stehen schon die nächsten größeren Änderungen und Neuausrichtungen des Verkehrssektors ins Haus. Es bleibt also spannend in Ludwigshafen…
Quelle Bildmaterial:
Mit freundlicher Unterstützung des Stadtarchivs Ludwigshafen.