Gastautor
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am 31. Mai 2019

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Dieser Beitrag wurde von Alexander Graf (rnv-Mitarbeiter im Bereich Unternehmenskommunikation) erstellt.

Neuer Hauptbahnhof in Ludwigshafen 1970

Der „modernste Bahnhof Europas“ – Verkehr auf vier Ebenen

In diesen Tagen jährt sich der runde Geburtstag eines besonderen, jedoch nicht immer im absoluten Vordergrund stehenden Verkehrsbauwerks, das gleichzeitig ein markantes Stück Zeit- und Stadtgeschichte darstellt: Der heutige Ludwigshafener Hauptbahnhof feiert in diesen Tagen seinen 50. Geburtstag. Getreu dem bekannten Hit über die Ruhrmetropole Bochum mag man vielleicht zunächst meinen „Du bist keine Schönheit. Vor Arbeit ganz grau..." Und ja, der zeitgenössische Charme der betondominierten Ästhetik der späten 60er Jahre ist mit dem heutigen Blick auf Architektur und Design vielleicht nicht unmittelbar nachvollziehbar. Auch mag der Gesamtkomplex manchmal etwas merkwürdig verschachtelt wirken, manch einem mag es gar schwierig bis unmöglich sein, auch nur einen annähernden Überblick über alle Brücken, Überführungen, Treppen und Tunnel zu gewinnen. Aber andererseits ist „Retro" als Trend ja auch wieder sehr im Kommen und oft stecken hinter einer eher unscheinbaren Oberfläche auch interessante oder gar geheimnisvolle Details.

Alles in allem ein guter Anlass, um der bei der Eröffnung im Jahr 1969 einhellig als „modernster Bahnhof Europas" gewürdigten Verkehrsstation eine angemessene Referenz zu erweisen, und um gleichzeitig einen kurzen Blick auf die bewegte Geschichte von Verkehrsdrehscheibe und Nahverkehrsanbindung zu werfen. Hierbei danken wir dem Stadtarchiv Ludwigshafen für die freundliche Unterstützung bei der Sichtung der Pläne und Unterlagen sowie für Bereitstellung der schönen zeitgenössischen Fotos.

Neuer Hauptbahnhof in Ludwigshafen vermutlich 1969

Stadtgestaltung, Verkehr und Modernität

Der heutige Ludwigshafener Hauptbahnhof ist ein Kind der 50er und 60er Jahre, auch wenn erste diesbezügliche Ideen teils noch deutlich weiter zurückliegen. Wirtschaftswachstum und steigende Verkehrszahlen führten in Wissenschaft, Politik und Verwaltung vermehrt zur Einschätzung, dass dem anschwellenden Verkehrsstrom langfristig nur mit einer Entflechtung der einzelnen Verkehrsmittel beizukommen sei. Dementsprechend war der Neubau des Ludwigshafener Hauptbahnhofes in seiner aktuellen Form und an der heutigen Stelle in ein Gesamtkonzept aus Hoch- und Schnellstraßen, Eisenbahnlinien und teils unterirdisch geführten Straßenbahnstrecken eingebunden – noch heute zeugen manche Regalmeter an Plänen von der damaligen intensiven Planungstätigkeit der Ingenieure und Verkehrsexperten. Dabei verfolgte man mit dem Neubau des Ludwigshafener Hauptbahnhofes gleich mehrere wichtige und anspruchsvolle Ziele: So versuchte man nicht nur, den Eisenbahnknoten mit seinen komplexen Verbindungen in Richtung Mannheim, Worms, Schifferstadt und zur BASF neu und effizient zu ordnen, man wollte gleichzeitig auch Raum im Herzen der City gewinnen, den Automobilverkehr beschleunigen und eine neue, moderne Ära des öffentlichen Nahverkehrs einläuten. Bekanntlich lag der ursprüngliche Ludwigshafener Hauptbahnhof als Kopfbahnhof etwa im Bereich des heutigen Rathaus-Center-Komplexes. Dies war zwar nah an der Innenstadt, jedoch für den durchgehenden Eisenbahnbetrieb nicht ideal und auch mit einer gewissen städtebaulichen Trennwirkung verbunden… waren die Pläne zur Verlegung des damaligen alten Hauptbahnhofs also gar ein früher Vorläufer von Stuttgart 21? Auch wenn diese Frage unbeantwortet bleiben muss ist unbestritten, dass durch die Bahnhofsverlegung, die mit einem umfassenden Vertragswerk geregelt ist, Raum für eine neue Nutzung der ehemaligen Bahnanlagen frei wurde. So konnte die bis heute prägende Innenstadtgestaltung entwickelt und die Hochstraße Nord sowie das Rathaus-Center baulich umgesetzt werden. Der Hauptbahnhof zog dafür etwas nach Westen in seine heutige Position um und glänzt seither mit seinem charakteristischen Pylon und der einzigartigen Dreiecksform als verkehrliche Landmarke Ludwigshafens, auch wenn der zur Jahrtausendwende eröffnete Bahnhof Ludwigshafen Mitte am Berliner Platz heute einen Teil der Verkehrsfunktionen übernommen hat.

Vorplatz am Hauptbahnhof Ludwigshafen 1960

Architektur made in the Sixties

Kühn und modern wurden dabei die verschiedenen Verkehrsebenen übereinandergestapelt, wurden kreuzungsfreie Abfahrten und Verzweigungen der Hochstraßen in Stahlbeton gegossen, wurden Bundesbahngleise und Bahnsteige errichtet, wurden Fußgängertunnel, U-Straßenbahnhaltestelle und Bahnhofsplatz konzipiert, um einen großen, neuen Gesamtentwurf eines Verkehrsknotens der Zukunft zu formen.

Dass das eigentliche Bahnhofsgebäude dabei allerdings recht zurückhaltend bis unspektakulär geraten ist, mag aus heutiger Sicht untypisch anmuten, passt bei genauerer Betrachtung aber gut ins damalige Verständnis einer eher funktionalen Architektur. Wabenförmige Dachformen erinnern dabei an bekannte Deko-Elemente früher Quizshows des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.

Pylon-Brücke mit neuem Bahnhofsgelände Ludwigshafen vermutlich 1970

Und unten die Straßenbahn…

Natürlich sollte auch der öffentliche Nahverkehr vom Neubau profitieren. Das Zauberwort der damaligen Planung war die sogenannte „zweite Ebene", also das abschnittsweise Verlegen der Straßenbahn in Tunnel oder auf Brücken und Viadukte, um besonders schnell und ungestört vorankommen zu können. Dementsprechend wurde die in ihrer Grundform auch heute noch von der von uns betriebene U-Straßenbahnhaltestelle und die Tunnelzulaufstrecken in Richtung Bürgermeister-Kutterer-Straße, Richard-Dehmel-Straße und Rohrlachstraße geplant und gebaut – natürlich zukunftsweisend und großzügig mit vier Gleisen, drei Bahnsteigen, Rolltreppen und schmucken Abgangspavillons, ursprünglich sogar noch ergänzt um eine weitere tiefliegende Haltestelle „Ostsperre" auf der Rückseite des Bahnhofes. Über die Jahre konnte die Anlage immer wieder ihre Leistungsfähigkeit und Flexibilität unter Beweis stellen. Naturgemäß wurden dabei auch technische Anpassungen und Modernisierungen vorgenommen, Signale installiert, Schilder erneuert, digitale Anzeigen nachgerüstet oder wie kürzlich neue Stellwerkstechnik eingebaut. Doch der unverkennbare Geist der 60er und frühen 70er Jahre ist auch heute noch in unserer Haltestelle präsent und erlebbar – je nach Sichtweise eben Retro-Kult oder schlicht praxisnahe und haltbare Betonarchitektur.

Straßenbahnhaltestelle Ludwigshafen Hauptbahnhof 1969

Fakten, Mythen und Legenden

Um den Ludwigshafener Untergrund ranken sich manche Gerüchte und Vermutungen, teils ist von umfangreichen Bauvorleistungen bei U-Straßenbahn und Stadtbahnbau die Rede, daher ist die unterirdische Ludwigshafener Bahnwelt nicht nur bei Tunnelfreunden ein immer wieder intensiv diskutiertes Thema. Tatsächlich gibt es im Bereich der heutigen Haltestelle LU Hauptbahnhof einige interessante Bauwerke und Tunnelstutzen, die für eine mögliche Erweiterung des U-Straßenbahn beziehungsweise des später geplanten unterirdischen Stadtbahnnetzes gedacht waren. Neben der Verbindung der Gleise 3 und 4 in Richtung Südweststadion gab es von dort aus ursprünglich eine weitere unterirdische Gleisverbindung in Richtung LU Rathaus (eröffnet als Hauptpost) über Danziger Platz. Auch von Gleis 1 war eine Anbindung in Richtung Danziger Platz baulich berücksichtigt worden. Die heutige Tunnelrampe unserer Bahnlinien 4 und 10 in Richtung Rohrlachstraße und Marienkirche ist baulich gesehen auch nur eine provisorische Rampe, unter der der Tunnel bei Bedarf noch in Richtung Hauptfriedhof hätte verlängert werden können. Ein Teil dieses Tunnels wurde unter der Rampe im Rohbau tatsächlich auch schon mit errichtet. Auf der Südseite der Haltestelle LU Hauptbahnhof gibt es ebenfalls zwei sehr kurze Tunnelstummel in Richtung der Kaiser-Wilhelm-Straße, die zur Anbindung eines Straßenbahn-Rheintunnels nach Mannheim gedient hätten.

Bauarbeiten an der Straßenbahnhaltestelle Ludwigshafen Hauptbahnhof 1966

Ludwigshafen: Infrastruktur im dynamischen Wandel der Zeiten

Man sieht, die Stadt Ludwigshafen und insbesondere auch der öffentliche Nahverkehr haben sich stets weiterentwickelt und an die neuen Rahmenbedingungen, Möglichkeiten und Anforderungen angepasst. Auch heute ist dieser Prozess noch längst nicht abgeschlossen: Mit dem Stadtumbau „City West" und der geplanten Umgestaltung der Hochstraße Nord in eine ebenerdige Stadtstraße samt neuem Stadtquartier stehen schon die nächsten größeren Änderungen und Neuausrichtungen des Verkehrssektors ins Haus. Es bleibt also spannend in Ludwigshafen…

Quelle Bildmaterial:
Mit freundlicher Unterstützung des Stadtarchivs Ludwigshafen.

Kommentare

09. Mai 2022

Inka Jux

Wer waren die Architekten?


17. Dezember 2019

Peter Wollweber

"Man sieht, die Stadt Ludwigshafen und insbesondere auch der öffentliche Nahverkehr haben sich stets weiterentwickelt... "

Da würde ich mal ein dickes Fragezeichen dahinter setzen.

Die ursprüngliche Tunnelplanung am Hbf sah lediglich eine unterirdische Haltestelle und Verzweigung bei einem ansonsten oberirdischen Netz vor. Vor allem war da noch eine eine oberiridische Anbindung der Kurt-Schumacher-Brücke mit Abzweigungen in allen Richtungen vorgesehen. Der erwähnte Rheintunnel hatte noch nichts mit dem Pampel-Plan der 70er zu tun. Hier sollte wohl die Haltestelle Hauptbahnhof zum Ludwigshafener Drehkreuz werden und das eine unterirdische Anbindung nach Mannheim bekommen.

Der "Dreh" kam dann mit dem Bau der Schumacher-Brücke. Bereits 1971 entschied der Stadtrat die Strecke vom neuen Hauptbahnhof zum alten (heute: Rathaus) unterirdisch zu führen und dabei in der Ebene -2 Richtung BASF zu führen; damit fiel der ursprünglich vorgesehene Anschluss zur Schumacher-Brücke weg. Auf diese Fakten aufbauend kam es dann (durch Pampel oder Schächterle) zu dem 5-Linien-U-Bahn-Netz für Mannheim und Ludwigshafen, das jetzt einen Rheintunnel vom Rathaus kommend, durch die Bismarckstraße und dem Stadtteil Süd in den Mannheimer Kaiserring vorsah. Innerhalb dieses Netzes hätte der verwirklichte C-Tunnel nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Vorgesehen waren da noch Verlängerungen im Norden in die Pfingstweide und nach Frankenthal und im Süden in die Gartenstadt und nach Neuhofen.

Das alles ist nicht gekommen.

Im Prinzip hat sich seit 1930 in der Erschließung durch die Straßenbahn nicht wirklich etwas geändert. Zwar sind mit der Bahnhofsverlegung 1969 bis zur Neuordnung der Frankenthaler Straße 1982 etliche Strecken neu gebaut worden, aber streng genommen sind es Ersatzbauten aus dem bestehenden Netz: Hemshof-Rathaus für die Prinzregentenstraße oder der (neue) Hauptbahnhof für die nördliche Berliner Straße) - es sind keine Wohngebiete oder Stadtteile neu erschlossen worden (in Mannheim: Vogelstang, Lindenhof/Neckarau West, Neuhermsheim, Gartenstadt).

Dieser C-Tunnel mit seiner Rumpflinie 28, später 48 bzw. 12 vom Südrand von Oppau nach Mundenheim (und gelegentlich nach Rheingönheim) hat maßgeblich der weiteren Entwicklung der Straßenbahn geschadet.


09. Juni 2019

Michael

Der Artikel war sehr interessant.

Jedoch hat mir gefehlt, ob es schonn immer so war,

dass der Bahnhof kaum von Reisenden genutzt wurde.


01. Juni 2019

J. Kruus

Ein hervorragend recherchierter Rück - und Einblick nicht nur in die Historie des Ludwigshafener Hauptbahnhofes, dessen Bedeutung für den Wirtschaftsstandort und Lebensraum Ludwigshafen der Autor in vollem Maße zum Ausdruck gebracht hat, sondern auch in die Persönlichkeit eines Menschen, der es durch seine leidenschaftliche und hingebungsvolle Rhetorik schafft, dem Leser eben diese Bedeutung charmant vorzuführen und ihn Anteil an der in jedem Wort hör - und spürbaren Faszination nehmen zu lassen.


31. Mai 2019

Walter Grabe

Bedauerlicherweise orientierte man sich nicht an den Trassierungsparametern des Stadtschnellbahnbaus


31. Mai 2019

Kurt Leibbrand

Das Tiefbahnprojekt war für Ludwigshafen zukunftsweisend.


31. Mai 2019

Werner Rabe

Eine spannende Zusammenfassung.

Gerne mehr davon!

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