René Weintz

am 23. November 2018

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Sperrmüll auf Bahngleisen

„Wir hätten nie mit solchen Konsequenzen gerechnet.“

Malte (18) und Alex (19)(1) machten sich strafbar, indem sie Gegenstände auf unsere Bahngleise legten. Der Straftatbestand des gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr wird gemäß § 315 Abs. 1 StGB mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren geahndet. Wie kam es dazu? Was treibt junge Menschen an, eine solche Tat zu begehen?

Auf den ersten Blick sind die beiden zwei ganz normale Jugendliche mit einem ausgedehnten Freundeskreis. Sie gehen noch zur Schule und haben ein stabiles soziales Umfeld. Kaum einer würde annehmen, dass die beiden eine Straftat verüben. Doch es kommt anders.

2017, ein Sommer wie jeder andere. Die Ferien neigen sich dem Ende zu und Langeweile breitet sich aus. Malte und Alex schlendern durch die Straßen. Sie entdecken Sperrmüll. Wer von beiden die Idee hat, können sie heute nicht mehr sagen. Aber beim Anblick der Möbel ist es ihnen sofort klar: „Wir legen die Gegenstände auf die Gleise und schauen was passiert“. Es ist eine Art Neugier, gekoppelt mit dem Reiz, etwas zu erleben. Action eben, das was beiden zum Ende ihrer Ferien fehlt. Aber schon bald reicht es nicht mehr, kleine Dinge von der vorbeirauschenden Straßenbahnlinie 5A zerschmettern zu lassen, es muss Größeres her. Auch die Anzahl der Vorfälle erhöht sich. Wie im Rausch und ohne über die Folgen nachzudenken bringen Malte und Alex sich, die Fahrgäste sowie unsere Kolleginnen und Kollegen in Gefahr.

Die Straftaten bleiben natürlich nicht unentdeckt und wir mobilisieren unser eigenes Service- und Sicherheitsteam, um die Strecke zu observieren und die Täter auf frischer Tat zu ertappen. So kommt es, dass die beiden Jugendlichen geschnappt und von der Polizei abgeführt werden.

Interview

Was denken die beiden heute, fast ein Jahr nach den Vorfällen? Und welche Konsequenzen hatten ihre „Dummheiten“? Wir haben sie in einem Interview befragt.

Red.: Was waren die Beweggründe für Euer handeln?

Malte: Langeweile und zu wenig zu tun.

Red.: Waren Alkohol oder Drogen im Spiel?

Alex: Teilweise Alkohol, was dann die Hemmschwelle senkte.

Red.: War euch klar, dass Ihr eine schwere Straftat begeht?

Alex: Dass es nicht legal war, war uns zu dem Zeitpunkt schon bewusst, jedoch wurde uns die Schwere der Straftat erst im Nachhinein klar.

Red.: Woher hattet Ihr die Gegenstände, die Ihr dann auf die Gleise gelegt habt?

Malte: Unterschiedlich. Das meiste kam vom Sperrmüll, der Rest aus Vorhöfen oder von Baustellen.

Red.: Aus heutiger Sicht, was glaubt ihr, wie sich ein/e Bahnfahrer/in in so einer Situation fühlt?

Malte: Zu diesem Zeitpunkt hatten wir kein Gefühl dafür. Mittlerweile wissen wir, dass, vor allem wenn es dunkel ist, der/die Bahnfahrer/in anfangs nicht mal weiß, ob er gerade jemanden überfahren hat. Das ist erstmal ein Schock.

Red.: War euch die Ernsthaftigkeit und Gefahr nie bewusst?

Alex: Wir hatten die ganze Situation ehrlich gesagt nie sonderlich ernst genommen und nie großartig über das nachgedacht, was wir taten.

Red.: Habt ihr nicht einmal versucht euch in die Lage der Bahnfahrer/in hinein zu versetzen?

Malte: Nein, leider nicht. Wir haben einfach nicht so weit gedacht.

Red.: Was war das für ein Gefühl, wenn die Bahn über die Gegenstände gerollt ist?

Alex: Es war lustig, was vielleicht auch am Alkohol lag. Je lauter der Knall, umso mehr haben wir uns gefreut.

Malte: Es war wie eine Sucht.

Red.: Wie wurdet ihr erwischt?

Malte: Mitarbeiter der rnv Service- und Sicherheitstruppe observierten den Ort, nachdem es immer wieder Vorfälle gab. Die haben uns dann festgehalten.

Alex: Da wir uns aber nicht ausweisen wollten, wurde die Polizei gerufen. Anschließend mussten wir in eine Zelle und wurden erkennungsdienstlich erfasst.

Red.: Wir haben uns auf einen Täter-Opfer-Ausgleich (2) anstelle eines Straf- und Zivilverfahrens eingelassen. Wie geht es euch damit?

Malte: Das bedeutet uns sehr viel. Man wollte uns aufgrund unseres jungen Alters nicht den weiteren Lebensweg verbauen.

Alex: Wir wären ansonsten vorbestraft gewesen und es wäre schwierig für uns geworden, damit eine Ausbildung zu beginnen. Wir haben quasi eine zweite Chance bekommen und sind der rnv dafür sehr dankbar. Es hätte auch ganz anders laufen können...

Red.: Ihr musstet im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleiches neben der Erstattung eines Großteils des verursachten Schadens Arbeitsstunden und Wiedergutmachung leisten. Wie sah das aus?

Malte: Wir haben in einem Heim Hausmeistertätigkeiten durchführen müssen, wie Unkraut pflücken und putzen. Das war hart.

Alex: Außerdem mussten wir uns auch bei der rnv einem Teil der Personen stellen, denen wir mit unseren „Dummheiten“ eine Menge Arbeit und sogar Angst gemacht haben.   

Red.: Was ist euer Resümee heute?

Alex: Dass das, was wir getan haben, nicht nur eine Lappalie ist. Es kann so viel passieren.

Malte: Uns ist jetzt erst bewusst, wie viele Leute davon betroffen waren und was das ausgelöst hat.

„Fugen auskratzen macht nicht wirklich Spaß.“

Dies mussten die beiden bei der Ausübung ihrer Strafe in Form von Sozialstunden feststellen. Nach jeweils 60 abgeleisteten Stunden harter Arbeit, hatten die beiden ihre Strafe im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs(2) hinter sich gebracht. Es folgte noch ein Einsatz bei uns zur Wiedergutmachung. Dort gab es Einblicke in die Stellwerksarbeit und die Abläufe bei Notfällen. Danach konnten sich die beiden besser in unser Fahrpersonal und die übrigen Mitarbeiter hineinversetzen. Sie wissen nun um die psychischen Belastung, die solche Vorfälle auslösen können. Mittlerweile bereuen sie ihre Taten und würden sie gerne ungeschehen machen.

Malte und Alex zum Schluss: „Bei der Abarbeitung unserer Strafe ging es zunächst darum, bestraft zu werden. Das aber änderte noch nicht unsere Denkweise. Erst durch den Besuch bei der rnv konnten wir das ganze Ausmaß unserer Taten und ihre Zusammenhänge nachvollziehen."

 

(1) Die Namen wurden von der Redaktion geändert.

(2) Der Täter-Opfer-Ausgleich stellt eine Art der außergerichtlichen Konfliktbewältigung dar. Der Begriff umschreibt Bemühungen um einen Ausgleich zwischen (mutmaßlichem) Täter und Opfer einer Straftat, und zwar nicht nur im Sinne einer materiellen Schadenswiedergutmachung, sondern darüber hinaus im Sinne eines ideellen Ausgleichs von begangenem und erlittenem Unrecht durch Verantwortungsübernahme auf der einen und Bereitschaft zu einem derartigen Ausgleich auf der anderen Seite  (www.bmjv.de/DE/Themen/OpferschutzUndGewaltpraevention/TaeterOpferAusgleich/TaeterOpferAusgleich_node.html).

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