Tendenz: wachsend
An vielen Stellen im rnv-Verkehrsgebiet sieht es aus, als würden die Stadt- und Straßenbahnen auf der Wiese fahren. Das ist natürlich kein Wildwuchs der Natur, sondern sorgsam angelegtes Grüngleis. Im Verkehrsgebiet der rnv gibt es aktuell 42,5 Streckenkilometer Grüngleis mit einer Fläche von etwa 122.000 Quadratmetern. Bislang macht diese sogenannte Oberbauform gerade mal 11 Prozent im gesamten rnv-Streckennetz aus, Tendenz jedoch steigend. Die größten Anteile haben aktuell noch das Schottergleis (52 Prozent) und das Gleis im Asphalt (19 Prozent). Bei Erneuerungen und Neubaustrecken setzt die rnv jedoch zunehmend - wenn es technisch umsetzbar ist - auf Grüngleis. Absolut gesehen grünt es am meisten in der Stadt Mannheim mit etwa 32 km Streckenlänge, gefolgt von Heidelberg (ca. 7 km) und der Strecke der Linie 5 (2,7 km).
Klimaanlage für die Stadt
Der Clou am Rasengleis sind gleich mehrere gute Eigenschaften. Während Städte sich im Sommer immer stärker aufheizen, verbessert ein Grüngleis das Mikroklima. Das liegt an seiner Fähigkeit, Regen zu speichern und später über Verdunstung abzugeben. Dabei entsteht kühlere Luft, die die Umgebungstemperatur absenkt. Schon ein Liter Wasser kann 200 Kubikmeter Luft, vorstellbar als „Luftwürfel“ mit sechs Metern Kantenlänge, um zehn Grad abkühlen. Für alle, die es genau wissen wollen:
Ein Rechenbeispiel
Im Rahmen des Projekts „Mobilitätsnetz Heidelberg“ entstanden zwischen den Jahren 2015 und 2019 insgesamt 1,6 Hektar oder 16.000 Quadratmeter Rasengleis, zum Beispiel in der Bahnstadt oder im Pfaffengrund. Das Gras absorbiert zwischen 50 und 70, im Sommer sogar bis zu 90 Prozent des Niederschlags. In Heidelberg fallen im Jahr rund 750 Liter Regen pro Quadratmeter. Hält unser Grüngleis davon auch nur die Hälfte zurück, kann es jährlich sechs Millionen Kubikmeter Luft um 10 Grad abkühlen. Das entspricht dem Volumen von etwa 20 SAP-Arenas!
(Quelle Rechenmodell: "Wirkung und Funktion Grüner Gleise", Grüngleisnetzwerk. Abrufbar unter: http://www.gruengleisnetzwerk.de/images/downloads/wirkung.pdf)
Feinstaubschlucker, Lebensraum und Augenweide
Mit seiner großen Oberfläche kann ein Rasengleis zudem Feinstaub aus der Luft aufnehmen und binden und trägt damit zu Verbesserung der Luftqualität bei. Zusätzlich bietet die Grünfläche Lebensraum für Insekten, Regenwürmer und Co. Weicht der Rasen im Laufe der Zeit Wildkräutern, finden auch Bienen und andere Bestäuber Nahrung. Last but not least bietet Grüngleis auch etwas fürs Auge. Denn Gleiskörper nehmen große Flächen im städtischen Raum ein und prägen das Stadtbild. Sie sorgen damit für grünen Ausgleich, wo durch Nachverdichtung ansonsten Betongrau das Stadtbild dominiert.
Sandwich unter dem Rasen – der Aufbau
Gleise verlegen, Erde aufschütten, Rasen aussähen – so einfach ist es nicht. Wie bei jedem sogenannten gesonderten Gleiskörper – das heißt, wenn die Schienen nicht direkt im Straßenasphalt eingelassen sind – werden die Schienen zunächst auf einem soliden Betonfundament fixiert. Auch ein Grüngleis ist also keine unversiegelte Fläche. Das Fundament hat jedoch einen Ablauf für überschüssiges Regenwasser. Auf dem Sockel werden dann mehrere Schichten aufgebracht: Eine Drainageschicht aus Split wird gefolgt von einer Art Stoff, die verhindert, dass Erde ins Fundament bröselt. Danach kommen ein Wachstumsgranulat bzw. Erde und schließlich die Rasensaat. Alternativ kann auch Sedum gepflanzt werden, eine zähe und hitzeresistente Sukkulente.
Extreme Bedingungen unter rollendem Rad
Straßenbahnstrecken sind ein extremes Lebensumfeld für Flora und Fauna. Die Wuchshöhe der Gräser ist durch die darüberfahrenden Straßenbahnen stark begrenzt. Dazu kommen die begleitenden Windstöße die die Austrocknung begünstigen. Je nach Umfeld muss der Rasen außerdem robust gegen starke Sonne, Streusalzeintrag im Winter oder Trockenheit im Sommer sein. Dafür gibt es eine spezielle Rasensorte, die besonders widerstandsfähig ist. Das muss sie auch sein, denn außer gelegentlichem Mähen und Bewässern wird das Grüngleis sich selbst überlassen. Eine aufwändige Pflege würde der Nachhaltigkeit zuwiderlaufen. In sehr trockenen Sommern kann aus Grün daher auch mal Gelb werden. Nach den nächsten Regenschauern regeneriert sich der Rasen jedoch schnell.
Mehraufwand, der sich lohnt
Und die Kosten? Die sind höher, zugegeben. Im Bau ist ein Rasengleis rund 12 Prozent (im Vergleich zu asphaltiertem oder gepflastertem Gleisbett) bis 60 Prozent (gegenüber Schottergleis) teurer. Auch muss es rund acht mal im Jahr gemäht werden. Damit ein Grüngleis sein frisches Grün behält, sollte es bei Bedarf gegossen werden. Dafür fallen zwischen 90 Cent und 1,80 Euro pro Quadratmeter und Jahr an. Ein Aufwand den die Instandhaltung der rnv nach Neuanlage übernimmt, den die Städte später jedoch finanzieren müssen. Betrachtet man den immensen Nutzen für Stadtklima und Bevölkerung, könnte das eine lohnende Investition sein. Übrigens: In ganz Deutschland wächst der Anteil von Grüngleis (Infos auch unter www.gruengleisnetzwerk.de) und auch die rnv hat schon die nächste "Renaturierung" geplant: Ab Juli entstehen in der Mannheimer Casterfeldstraße knapp drei Kilometer neues Sedumgleis.