Florian Benz

am 11. Januar 2019

Die Sprachausgabe wird von Ihrem Browser nicht unterstützt.
Mannheims erster Nachtbürgermeister Hendrik Meier

Das Interview mit Mannheims Nachtbürgermeister Hendrik Meier 2/2

Mannheims Nachtbürgermeister, Hendrik Meier, ist seit August 2018 im Amt und stand uns beim rnv-Blog für ein Interview zur Verfügung. Er ist 27 Jahre alt, kommt aus Franken und noch Student an der Popakademie, hat seine Masterarbeit aber abgegeben. Schon diese hat er über die kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung des Nachtlebens für die Metropolregion Rhein-Neckar geschrieben. Bei einem Treffen im Café sprechen wir mit ihm über den Nachtwandel vom Herbst 2018, die Kulturtram und die Verknüpfung von ÖPNV und Kultur im Allgemeinen.

 

Den ersten Teil des Interviews findet ihr hier.

 

Interview

rnv-Blog: Eine Icebreaker-Frage, die ich mir eigentlich für den Anfang vorgemerkt habe: Bist du schon einmal in der Bahn nach Hause eingepennt und als du aufgewacht bist, warst du zwölf Stationen zu weit gefahren?

Hendrik Meier:(lacht) Ja, das war noch in Nürnberg und es war super fatal. Das war mit der Regionalbahn von Nürnberg Nordost nach Gräfenberg. Und ich wollte eigentlich in Eschenau aussteigen und bin natürlich eingepennt. Aber wir waren auch mehrere Leute und sind alle eingepennt, das war eigentlich ein schönes Bild, der Schaffner fand's auch ganz witzig.

rnv-Blog: Was nimmst du vom letzten Nachtwandel im Oktober 2018 und der ersten Kulturtram mit?

Hendrik Meier: Von der Kulturtram nehme ich mit, dass es möglich ist, dass man selbst in einer ganz gewöhnlichen Tram Momente schaffen kann, an die sich Menschen erinnern. Ich fand den Moment toll, als wir durch die Planken gefahren sind und nach links und nach rechts geschaut haben: Jeder Mensch, der dort langelaufen ist, ist stehen geblieben hat sich nach der Bahn umgeschaut. Und die Gesichtsausdrücke waren nicht „ich bin genervt – ich bin immer noch genervt“, sondern viel mehr „ich bin genervt – oh was ist das denn? Sieht ja interessant aus“.
Du hast die Menschen für einen Moment aus ihrem Alltag herausgerissen und darum geht es im Prinzip: Momente und Begegnungen zu schaffen. Du kannst natürlich nicht voraussetzen, dass alle in die Bahn kommen und sich unterhalten und direkt super bespaßt von allem sind – das wäre unrealistisch. Es geht darum, dass sich Menschen wohlfühlen in einer Atmosphäre, die sie sonst gar nicht wahrnehmen würden. Denn eine Tram nimmt man in der Regel überhaupt nicht wahr. Du schaust auf dein Handy und wartest darauf, dass du irgendwo ankommst. Dazu hast du aber keine emotionale Bindung und in dem Moment, in dem du so eine Bindung schaffst, hast du eigentlich schon gewonnen als Verkehrsdienstleister. Und darum geht es.
Die BVG schafft das, indem sie viel Geld in Marketingbudgets packen. Das gleiche Geld könnten sie aber auch in neue Bahnen oder Personal packen, die die Schienen warten oder alles besser koordinieren. Machen sie nicht, weil es anscheinend in Berlin sowieso nicht funktioniert. Deshalb Marketing: Man bespaßt die Menschen einfach mit so etwas.

rnv-Blog: Was könnte denn in Bahnen anders gemacht werden, gerade im Hinblick auf die emotionale Bindung oder einen kulturellen Aspekt?

Hendrik Meier: In Hamburg gibt es beispielsweise in den Bahnen einen kleinen Holzschrank mit Büchern als Bücherecke, damit man unterwegs lesen kann. Das ist das, was hier in Mannheim an der ein oder anderen Ecke der Stadt herumsteht, nur in den Bahnen. Das ist dann anstelle der vordersten zwei Sitze, wo nun eine kleine Bibliothek eingebaut wurde. Wenn ich mir überlege, jemand steigt ein und hat 20 Minuten Fahrt, um nach Hause zu kommen, zum Beispiel in die Schönau, dann sieht er das Buch und kann auf der Heimfahrt im Buch blättern.

rnv-Blog: Ein schönes Bild, dennoch wahrscheinlich eher eine Nischenlösung, ganz im Sinne von „cool dass es da ist“, aber ein WLAN in der Bahn würden viel mehr Leute wahrscheinlich viel begeisterter nutzen.

Hendrik Meier: Auf jeden Fall. Aber das ist ja keine Frage des „entweder oder“. Der Mehrwert eines Bücherregals ist ja offensichtlich. Es ist etwas Schönes zum Ansehen und es bietet die Möglichkeit, ein Buch herauszunehmen und zu lesen. Es hat also nicht den ultimativen Mehrwert. Es sind aber diese kleinen Dinge, an denen die Leute sich gerne festhalten, wie zum Beispiel an einer Tram, die durch die Straßen fährt und auf einmal ist der vordere Bereich dunkel und es spielt Musik. Und Leute steigen ein und denken sich „oh das find ich ja voll cool“ [Anm.: gemeint ist die Fahrt der Kulturtram]. Von jedem, der damals eingestiegen ist, habe ich Sätze gehört wie „oh schau dir das mal an, wie schön“ oder so ähnlich. Und auf einmal nehmen dich die Menschen als ÖPNV anders wahr.
Und im Zeitalter von Marketing braucht es das. Jedes Unternehmen möchte sich besonders einzigartig hervortun und herausstellen und setzt auf clevere PR-Geschichten. Ich finde, das braucht es gar nicht. Wenn man etwas authentisch und für sich macht, dann strahlt es auch aus der Bevölkerung heraus, dass es cool ist. Dann muss man nicht sagen „Hey, schaut wie cool wir sind“, sondern die Leute sagen „ihr seid cool – weil ihr dieses und jenes anbietet oder macht“ gerade ohne dass man es sich auf die Fahne schreiben muss. So ein Understatement wünsche ich mir manchmal bei solchen Angelegenheiten. Und das wäre so etwas wie so ein Bücherregal. Das machst du nicht, weil du möchtest, dass die Leute mehr lesen sondern du machst das, weil du den Leuten etwas zurückgeben möchtest.
Was ich in Nürnberg erlebt habe ist, dass Ansagen auf fränkisch sind. Also zwar nur „angefränkelt“, dass man es noch versteht auch als Zugereister, aber das wäre im Kurpfälzischen auch möglich. Nun also künftig diese ganzen neuen modernen Bahnen zu haben [Anm.: Es geht um die Rhein-Neckar-Tram, RNT2020, die ab 2021 auf den Schienen fahren sollen] und dann den Bruch zu wagen mit Durchsagen auf Kurpfälzisch, das würde, glaub ich, sehr gut ankommen bei den Leuten – damit man die neuen Bahnen mit etwas Regionalem verknüpfen kann.
Ich glaube den Leuten ist es wichtig, zu sehen, dass man etwas macht. Eine Tram fährt wie eine Tram fährt, das ist in jeder Stadt gleich. Wenn dann der Verkehr vor dir ist, dann ist der Verkehr da, es gibt Ansagen, nachts mal betrunkene oder nervige Leute. Ich denke, man sollte die Dinge, die man selbst beeinflussen kann, auch verändern. Zum Beispiel die Ansagen oder auch eine andere Lichtwahl, dass es nicht so grell ist, sondern dass man ein paar Lampen rausnimmt oder irgendwie mal farbige reinmacht – aber ich bin auch riesen Fan davon, ich mag dieses grelle Licht nicht (lacht). Zum Beispiel in den Farben von den Adlern [Anm.: die Adler Mannheim, die Eishockey-Mannschaft von Mannheim], um auch nochmal etwas lokalen Bezug zu bringen. Das mögen die Leute gerne. Es gibt ja auch Sonderbahnen, wo der Adler so groß draufgeklebt ist: Warum sind hier beispielsweise nicht die Mittelröhren alle in Rot und Blau? Oder die Event-Bahnen. Beispielsweise wenn eine Bahn zum Konzert schon etwas Musik laufen lässt. Das geht mir dann schon mal so, dass ich noch eine halbe Stunde zum Konzert fahre und mich noch ein bisschen unterhalte, aber eigentlich nur ankommen will und aufs Konzert gehen. Wenn man in diesen Bahnen weiß, dass es 90 Prozent Leute sind, die zum Konzert fahren, dann könnte man darin schon einmal leise die Musik anteasern oder so etwas.

rnv-Blog: Ein Partybus?

Hendrik Meier: Ein Partybus… naja es muss ja nicht gleich zu einer Party werden, es reicht ja schon, wenn man die Leute auf ihrer Fahrt ein bisschen bespaßt. Dann müssen sie sich nicht selbst bespaßen.
Und außerdem: Es wäre auch schön, Mannheim mehr mit Heidelberg zu verbinden. Heidelberg ist ja Unesco City of Literature und Mannheim ist Unesco City of Music – nirgendwo auf der Welt gibt es zwei Unesco Cities, die so nahe beieinander liegen. Das könnte man als ÖPNV-Anbieter auch im Sinne einer Kulturtram nutzen, dass man mit einer Fahrt nach Heidelberg fährt, in der eine Band spielt, und von Heidelberg fährt eine Bahn, in der jemand aus einem Buch liest oder in der ein Poetry Slam stattfindet als Literaturanteil. Dann nimmst du dir den Sixty und nimmst einen Zehner Eintritt mit fünfzig Menschen und pendelst dann zwischen Mannheim und Heidelberg. Im Mai haben wir da bereits schon einmal eine Fahrt gemacht und sind mit einer Band von Mannheim nach Heidelberg gefahren und wieder zurück. Und das hat viel Spaß gemacht. Mit guter Musik im Sonnenuntergang auf den Feldern zwischen Mannheim und Heidelberg – das war schon schön.

rnv-Blog: Vielen herzlichen Dank für das Gespräch.

Kommentare

Keine Kommentare

Kommentar schreiben

* Pflichtfeld