Aussteigen kann man manchmal nicht einfach so. Zwischen dem Wunsch auszusteigen und dem tatsächlichen Ausstieg liegen manchmal Welten. Es braucht einen Plan und professionelle Unterstützung – und nein, es geht nicht um Atomkraft oder Braunkohle, sondern um Bus und Bahn. Für Teile der Bevölkerung kann das nämlich eine echte Herausforderung sein.
Als uneingeschränkt beweglicher Mensch ohne Behinderung, fällt es schwer, sich vorzustellen, wie es ist, wenn alle Bewegungsabläufe kompliziert und mühsam werden: Wenn das Aufstehen in einem fahrenden Bus einer Schiffschaukel, das Manövrieren an Stangen und Halteschlaufen in Richtung Ausstieg einem Klettergarten und der Schritt auf den Bordstein einem Fallschirmsprung gleicht. Und dennoch erwartet voraussichtlich die meisten von uns ein ähnliches Schicksal im Alter. Unser Körper wird irgendwann trotz Krücken, Rollator oder sonstigen Bewegungshilfsmitteln keine großen Sprünge mehr machen können. Bahn- und Busfahren ist für viele Menschen mit Behinderung deutlich schwieriger. Gerade ältere Menschen, die etwa im Gegenzug zu Menschen, die im Rollstuhl sitzen, erst schleichend ihre Beweglichkeit verlieren, sind mit ihrem wenig mobilen Zustand nicht vertraut und beginnen oft, sich selbst Lösungen zu zimmern. Diese sind mitunter abenteuerlich: Hochbetagte Damen und Herren schwingen ihre Rollatoren aus dem Bus und lassen sich dann von deren Gewicht mitreißen. Oder sie lehnen sich wagemutig weit aus ihrem Rollstuhl, um an die regulären Halteknöpfe an den Stangen zu kommen. Beides ist halsbrecherischer Unsinn. Jemand, der sein Leben lang in der Lage war, ohne Hilfe oder Hilfsmittel im Verkehr unterwegs zu sein, kommt leider selten auf die Idee, um Auskunft zu fragen, wenn er dies eines Tages nicht mehr kann. Zudem ist trotz einer großen (und wachsenden) Anzahl barrierefreier Haltestellen nicht überall ein gänzlich anstrengungsloser Ausstieg möglich. Deshalb bieten wir eine ganz besondere Schulung an: das Mobilitätstraining für Senioren.
Seepferdchen im ÖPNV
Bei der etwa zweistündigen praktischen Schulung in einem extra dafür bereitgestellten Bus oder einer Bahn in der Wendeschleife lässt sich lernen, wie man mit Krücken, Rollstuhl oder Rollator am besten umgeht. Neigungswinkel der Rampen, die in jedem Fahrzeug vorhanden sind, werden vorgeführt oder man lernt wo ein Passagier am sichersten steht, falls eine scharfe Bremsung notwendig ist. Zudem erklärt der Trainer auch Einzelheiten, wie etwa die blauen Knöpfe mit Rollstuhl-Symbol in Bus und Bahn, die beim Betätigen beim Fahrer ein besonderes Signal auslösen und dafür sorgen, dass die Türen bedeutend länger geöffnet bleiben. Schließlich führt der Trainer den Teilnehmern Bewegungsabläufe vor, um sicher aus dem Fahrzeug aussteigen zu können, sollte einmal kein ebenerdiges Verlassen möglich sein. Auf den von uns betriebenen Strecken sind derzeit mehr als die Hälfte der Bus- und Bahnhaltestellen bereits barrierefrei ausgebaut und ermöglichen den höhengleichen Aus- und Einstieg. Menschen, die unsicher auf den Beinen sind, wird im Training beispielsweise das rückwärts Aussteigen gezeigt: eine sehr sichere Variante, die allerdings kaum ein Passagier von selbst verwendet. Hier lässt es sich am Bus gut üben, der seine Seiten per Hydraulik nach oben und unten neigen kann, womit der Abstand zur Bordsteinkante beliebig variiert werden kann. Da der Bus außerhalb des Fahrbetriebs als Sonderfahrt abgestellt ist, kommt kein Zeitdruck auf und die Teilnehmer können sich ganz an die neuen Abläufe gewöhnen. Ein theoretischer Teil, bei dem es auch um Tarife und Vergünstigungen für Rentner und Inhaber eines Schwerbehindertenausweises geht, geht dem bei Bedarf der Teilnehmer voraus.
Derzeit führen wir etwa 10 Senioren-Mobilitätstrainings im Jahr durch, die kostenlos sind und auf Vereinbarung stattfinden. Für Terminanfragen und Auskünftige gibt es die E-Mail-Adresse sicherunterwegs(at)rnv-online.de oder die Seite: www.rnv-online.de/sicher-unterwegs.
Infobox
Barrierefreiheit
Die Barrierefreiheit im ÖPNV hat eine Zugänglichkeit für alle Fahrgäste zum Ziel, also die Nutzung des ÖPNV für alle zu ermöglichen, ohne dass eine Fahrgastgruppe benachteiligt wäre. Barrierefreie Haltestellen ermöglichen aufgrund der Steighöhe einen komfortablen stufenlosen Zugang in die Niederflurfahrzeuge oder einen Ein- und Ausstieg mit Rampe. Bei vollständig barrierefrei ausgebauten Haltestellen ist der Bahnsteig auf 30 cm angehoben, wodurch ein höhengleicher Zugang, also ohne jede Steigung, möglich ist. Bei teilweise barrierefreien Haltestellen liegt der Bahnsteig etwas niedriger, womit beispielsweise für Rollstuhlfahrer ein Ein- und Ausstieg mit der im Fahrzeug verfügbaren Rampe ohne großen Steigungswinkel möglich ist. Im Busbereich ermöglichen Haltestellen mit erhöhten Steigen in Kombination mit der Absenkfunktion des Fahrwerks und/oder dem Einsatz von Rampen einen verbesserten Zugang zu Fahrzeugen. Durch die spezielle Form des Bordsteins an den Bushaltestellen kann der Bus mit seinen Reifen direkt an den Stein anfahren ohne „aufzuklettern“. Mit dem sehr nahen Heranfahren der niederflurigen Busse wird der (beinahe) höhengleiche Einstieg vereinfacht. Nach und nach sollen alle Haltestellen an den durch die rnv bedienten Strecken barrierefrei ausgebaut werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des neuen Personenbeförderungsgesetzes (PBefG), wonach bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit der Haltestellen (Ausnahmen sind zu begründen) umgesetzt werden soll.