Sarah Herrmann

am 05. Juli 2019

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Eleonore Domagala und ihr Enkelsohn Pascal Ihrig im Salonwagen
Eleonore Domagala und ihr Enkelsohn Pascal Ihrig im Salonwagen

Eine Salonwagenfahrt zum Geburtstag weckt Erinnerungen

Als Schaffnerin bei der Oberrheinischen Eisenbahn-Gesellschaft AG (OEG) war Eleonore Domagala während des Zweiten Weltkriegs drei Jahre lang im Halbzug zwischen Mannheim und Heidelberg unterwegs – auf einem Teil der heutigen Strecke unserer Linie 5. Zu ihrem 95. Geburtstag hegte Sie einen ganz besonderen Wunsch, den sie sich auch prompt ohne lange Überlegungen erfüllte: Noch einmal OEG fahren! Zusammen mit Familie und Freunden ging’s in unserem Salonwagen aus den 20er Jahren – übrigens auch einem Halbzug – über „ihre" alte Strecke von Edingen über Heidelberg nach Mannheim und wieder zurück. Wir hatten das Glück Frau Domagala persönlich zu ihrem Geburtstag zu gratulieren und uns mit ihr über ihre Zeit bei der OEG zu unterhalten.

„Lore, komm‘ doch zur OEG"

Auch wenn die Voraussetzungen schwierig waren, Eleonore Domagala, geborene Knabenschuh, erinnert sich gerne zurück an ihre Zeit als Schaffnerin bei der Oberrheinischen Eisenbahn-Gesellschaft. Ihr Onkel, damals Zugführer bei der OEG, brachte sie auf die Idee, ihre Mutter verbot es zunächst: „Nein, du gehst nicht! Es fallen schon zu viele Bomben!". Doch als der Brief vom Arbeitsamt kam und der jungen Frau eine Stelle in einer Waffenfabrik in der Neckarstadt drohte, war für die heute 95-Jährige schnell klar: „Ich geh‘ zur OEG!" Das Arbeitsamt willigte ein, Eleonore trat am 1. Juni 1942 mit 17 Jahren ihren Dienst als sogenannte Hilfsschaffnerin in Edingen an und blieb bis Kriegsende, „bis die Amis kamen und wir keinen Strom mehr hatten."

Die Hilfsschaffnerin – ein Allroundtalent

Bis dahin hatte „Lore" viel erlebt. Täglich fuhr sie in der sogenannten B-Bahn, die zwischen dem Alten OEG Bahnhof in Mannheim und dem Heidelberger Bismarckplatz über Seckenheim und Edingen pendelte. In Heidelberg bestand die Möglichkeit in die Dampflok nach Weinheim umzusteigen. Von Weinheim nach Mannheim an die Alte Feuerwache fuhr die sogenannte A-Bahn. Doch egal ob A- oder B-Bahn, für Schaffnerinnen gab es immer was zu tun: So musste neben dem „Fahrdienst" – der unter anderem auch das Ausrufen der nächsten Haltestellen vorsah – in den Pausen in Mannheim die Wagen geputzt und gefegt werden. Die „Geldtaschen", gefüllt mit den Einnahmen, durch die in der Bahn verkauften Fahrkarten, wurden in „das Große Haus, dem Büro in der Collinistraße, gebracht." Doch damit nicht genug: Wer am Schalter keine Fahrkarte gekauft hatte, musste damals in der Bahn eine lösen – bei Eleonore Domagala und ihren Kolleginnen. Von Haltestelle zu Haltestelle kämpften sie sich durch den vollbesetzten, schaukelnden Wagen und hielten Ausschau nach neu zugestiegenen Fahrgästen, riefen „Jemand zugestiegen?" und „Wer hat noch keinen Fahrschein?" Mit einer Zange wurden diese schließlich entwertet.

Die 14-Stunden-Dienste

Der Mittagsdienst begann um 14 Uhr – und endete manchmal erst um 4 Uhr in der Früh. Wenn Fliegeralarm war. Meistens in Mannheim. „Wir hatten keinen Strom mehr, dann ist man auf freier Strecke, je nachdem wo man gerade unterwegs war, stehen geblieben", erinnert sich Eleonore Domagala zurück. Sie ließen die Fahrgäste aussteigen und brachten sich schnellstmöglich in Sicherheit. So kam es durchaus vor, dass die heute 95-Jährige zwei Stunden, manchmal aber auch drei oder vier, in einem Keller oder Bunker, wie an der Alten Feuerwache, saß und wartete, bis die feindlichen Bomber drehten. Nicht selten war es mitten in der Nacht bis sie wieder nach draußen konnte an die Oberfläche, wo „die ganze Stadt brannte und ein Bombentrichter neben dem anderen lag! Das war nicht so einfach!"

Von Kummerkästen und Soldaten in der B-Bahn

Und dennoch: Eleonore hat in dieser Zeit viel Schönes, viel Lustiges erlebt. Als Schaffnerin war sie insgeheim nicht nur für den Fahrdienst zuständig. Sie hatte auch die Rolle des Kummerkastens inne – jeder wusste was zu erzählen, jeder schüttete ihr das Herz aus und „Lore" hörte zu. Ihre Fahrgäste waren häufig Soldaten, die von der Kaserne in Seckenheim nach Mannheim und umgekehrt fuhren – oft auch bis in die Nacht hinein, wenn alle anderen Fahrgäste schon längst ausgestiegen waren. Mulmig war ihr deswegen nie zumute. Im Gegenteil: „Das waren immer die gleichen – die sind auch immer zur gleichen Schaffnerin. Damals hat man alle gekannt!"

Doch einer der Soldaten ist ihr besonders in Erinnerung geblieben. Der junge Mann saß im letzten Zug von Mannheim nach Edingen. In Seckenheim stiegen alle aus, doch der Soldat blieb sitzen. Auch an der letzten Haltestelle vor der Endstation stieg er nicht aus – trotz des Hinweises, dass von Edingen kein Zug mehr zurückfahren würde. Der Soldat fuhr dennoch mit. Fahrtende: Eleonore „ging in die Station, rechnete ab und machte extra langsam, damit ich länger brauche." Als sie danach mit ihrem Fahrrad nach Hause fahren wollte, erfuhr sie, warum der Soldat nicht ausgestiegen war. „Ich dachte, wir gehen noch ein bisschen spazieren…?" Die 1924 Geborene verneinte und empfahl dem inzwischen sichtlich verblüfften Mann den Heimweg direkt auf den Schienen nach Seckenheim zur Kaserne einzuschlagen, denn „ich hab’s Ihnen ein paar Mal gesagt. Es kommt kein Zug mehr!"

Ein paar Tage später traf sie den Soldaten erneut auf „ihrer" Strecke zwischen Mannheim und Heidelberg – mit seiner Braut und Schwiegermutter.

„Ich hab’s gern gemacht"

Eleonore fuhr bis zum Schluss, bis Ende Mai 1945, „bis der Krieg rum war und wir keinen Strom mehr hatten." Denn der kam aus Ladenburg und als die Neckarbrücke zwischen Neckarhausen und Ladenburg gesprengt wurde, „ging nichts mehr!"

Gearbeitet hat sie danach nicht mehr bei der OEG – auch wenn sie sich während der Kriege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bewährt hatten, gab es lange Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg keine Frauen im Fahrdienst. Die Stellen wurden zunächst mit Männern besetzt.

Als die Frauenwelt schließlich in die vermeintliche Männerdomäne Einzug hielt, hatte „Lore" bereits eine andere Arbeitsstelle, die sie nicht aufgeben wollte. Und dennoch. Die drei Jahre sind ihr bis heute in Erinnerung geblieben: „Ich hab’s gern gemacht" – auch deswegen wollte sie zu ihrem 95. Geburtstag noch einmal eine Fahrt in einer Bahn von früher genießen.

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