Dieser Beitrag wurde in Zusammenarbeit mit Marvin Wettstein (Auszubildender zur Fachkraft im Fahrbetrieb) erstellt.
Starre Achsen oder Drehgestelle – Hauptsache um die Kurve
Um mit der Straßenbahn um die Kurve zu fahren, braucht es einen Gleisbogen und den Rest macht die Bahn von allein, denken vielleicht Einige. Doch so einfach ist es nicht: In den alten hochflurigen Bahnen wurden noch Drehgestelle verbaut, die über einen Drehkranz mit dem Wagenkasten verbunden sind. Für den ebenerdigen Einstieg der GTN- und Variobahnen musste auf diese Bauteile verzichtet werden. Drehgestelle ließen sich damals noch nicht so einbauen, dass die gewünschte Barrierefreiheit hergestellt werden konnte.
Damit sie trotzdem um Kurven – oder Gleisbögen – fahren können, wurden die Wagenkästen mit zusätzlichen Gelenken ausgerüstet, die Fahrwerke steif an die Wagenkästen gekoppelt und die Nachteile dieser Bauweise in Kauf genommen.
Denn anstatt bei einem Gelenktriebwagen ein Drehgestell zu drehen und den darüber befindlichen Wagenkasten durch den Bogen zu führen müssen bei einem Multigelenkfahrzeug Fahrwerk und Wagenkasten unter Einsatz hoher Kräfte gleichzeitig gedreht werden. Die Fahrgäste des Multigelenkfahrzeugs spüren dies an dem charakteristischen Ruck bei der Einfahrt in die Kurve. Und die Mitarbeiter in der Instandhaltung bemerken es am Verschleiß an Rad und Schiene.
Regelmäßig müssen die Bahnen deshalb in die Werkstatt, wo die Drehkränze ausgebaut, um 90 Grad gedreht und wieder eingebaut werden. Auch bei den Schienen führen die Drehkränze zu stärkerem Verschleiß als die schonenderen Drehgestelle der älteren Fahrzeuge.
Die ersten Generationen der Niederflurbahnen haben durch den Verzicht auf Drehgestelle starre Achsen. Fahren diese Fahrzeuge in den Gleisbogen, fahren sie quasi mit Wucht geradeaus in die Kurve, weshalb Gleise häufiger repariert werden müssen.
Dies wollte man bei den neuen RNT-Fahrzeugen vermeiden. Die Lösung brachten die guten Erfahrungen mit der kleinen Flotte von MGT-Fahrzeugen in Heidelberg. Diese 12 Bahnen haben eine besondere Anbindung ihrer Drehgestelle an den Wagenkasten: Einen Drehzapfen.
Klein, belastbar und quasi wartungsfrei
Aufgrund der positiven Erfahrungen mit den Drehzapfen hat man bei der Bestellung der RNT bewusst eine solche wartungsarme und vergleichsweise pflegeleichte Verbindung vorgeschrieben: den King Pin. Diese unscheinbare 15 Zentimeter lange, unförmige „Schraube“ hält mit ihrem rund 11 Zentimeter großen Durchmesser Drehgestell und Wagenkasten der RNT zusammen.
Mühelos hält er die großen Kräfte aus, die bei beim Bremsen unserer Tonnen schweren Bahnen auf ihn wirken – rund 100 Kilo-Newton. Gleichzeitig ermöglicht er eine erstaunliche Leichtgängigkeit der Drehgestelle.
Und was bemerken unsere Fahrgäste? Nichts!
Die Fahrgäste spüren wenig vom King Pin – höchstens, dass die RNT geschmeidiger um die Kurven fährt als die älteren Generationen der Niederflurbahnen, und dass sie seltener ausfallen und Linienstrecken seltener für Schienenreparaturen gesperrt werden müssen. Schöne Sache dieser King Pin!
Warum heißt es “King Pin” und nicht “Drehzapfen”?
Die Rhein-Neckar-Tram wurde als europaweites Projekt im finnischen Oulu und im tschechischen Pilsen gefertigt. Den Finnisch und Tschechisch sprechenden Ingenieuren kam das deutsche Wort “Drehzapfen” nur schwer über die Lippen – ebenso wie den deutschsprachigen rnv-Mitarbeitenden die finnische und die tschechische Übersetzung. Also einigte man sich auf das englische “King Pin”.