Busfahrer nach dem Mauerfall
Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer und brachte den Fall des Eisernen Vorhangs sowie den Beginn der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 mit sich. Die langen Jahre der Trennung zwischen Deutschland und Deutschland – und vieler Familien ebenfalls – waren vorbei. Mit dem 9. November 2019 jährt sich dieses zentrale Ereignis in der jüngeren Weltgeschichte zum dreißigsten Mal. In der Zeit nach dem Mauerfall strömten zahllose Menschen aus Ostberlin in den Westen: eine enorme Nachfrage für den Berliner ÖPNV, die sich quasi über Nacht bildete. Da die Berliner nicht hinterherkommen, werden überall aus Deutschland Busse und Busfahrer angefragt, um für die neue Reiselust der DDR-Bürger zu Diensten zu sein. Auch in der Metropolregion werden zwischen 1989 und 1990 Busse und Busfahrer ausgeliehen.
Im Interview sprechen wir mit Wolfgang Weber, Busfahrer der MVG (der Mannheimer Verkehrsgesellschaft, einem der Vorläufer der rnv) zur Zeit der Wende, über seine Zeit als „ausgeliehener Busfahrer“ in Berlin. Herr Weber ist 74 Jahre alt, seit 2010 in Rente, aber erst seit 2017 nicht mehr hinter einem Omnibussteuer in Mannheim anzutreffen. Sieben Jahre lang half der passionierte Busfahrer noch bei Bedarf und aus Freude am Fahren aus.
Interview
rnv-Blog: Herr Weber, wie lang waren Sie Fahrer bei der MVG, MVV und dann der rnv?
Weber: Ich hab am 19. Oktober 1970 auf der Straßenbahn angefangen und mich dann für den Bus beworben. Dann bin ich 1973 auch Bus gefahren und von da an in beidem unterwegs. Und dann durchgemacht bis zum Schluss.
rnv-Blog: Und nun zum eigentlichen Thema: Wie kamen Sie nach dem Mauerfall als Ausleih-Busfahrer nach Berlin?
Weber: Die Nachfrage in Berlin nach Busfahrern war sehr hoch. Bei uns im Büro ging die Anfrage nach Fahrern und Bussen Ende November ein. Bei der Einteilung kam mein Vorgesetzter auf mich zu und hat gesagt, sie bräuchten zwei Fahrer für Berlin. „Oh das ist was für mich“, hab ich gesagt. Aber im November 1989 wurde ich noch im Büro gebraucht und zuerst sind zwei andere Kollege gegangen.
Ich bin dann Mitte Februar gefragt worden. Da hab ich sofort zugesagt und bin dann zwei Wochen später nach Berlin geflogen. Da war ich sofort dabei! Und dann war ich zwei mal dort oben, im März 1990 das erste Mal und im Mai noch einmal. Jeweils vier Wochen. Nach vier Wochen sind dann zwei neue Kollegen nach oben geflogen. Es waren immer zwei Fahrer dort. Und zwei Busse. Das waren die grünen MVG-Busse.
Wir haben dann in Berlin vier Wochen im Hotel gewohnt. In der letzten Woche kamen dann auch unsere Frauen zu Besuch. Wir hatten dann drei Wochen durchgearbeitet und alle freien Tage in die letzte Woche mit der Frau gelegt. Dann konnten wir zusammen zurückfliegen.
rnv-Blog: Und welche Strecken sind Sie in Berlin gefahren?
Weber: Ich bin einen Rundkurs gefahren und eine Strecke über die Grenze. Außerdem war die Linie 73, das war die Strecke vom Bahnhof Zoo bis Hotel Britz. Die Kollegen, die schon im November 1989 dort waren, haben mir die Strecken gezeigt. Die sind als zwei Fahrer und mit zwei Bussen nach Berlin gefahren. Wir haben dort dann unsere (MVG) Busse gefahren, aber auch die Berliner Doppeldeckerbusse gefahren.
rnv-Blog: Wie waren die Berliner Fahrgäste im Vergleich zu den Mannheimern?
Weber: Sehr diszipliniert waren die Ostdeutschen! Es sind nie mehr als drei Leute gestanden, wenn es über die Grenze ging. Das war eine Vorschrift, an die sich alle gehalten haben! Oder wenn mit fünfzig Leuten der Bus voll war, es aber noch fünfzig draußen standen, haben wir gesagt „Moment, Bus ist besetzt.“. Die sind sofort draußen stehen geblieben. Außerdem gilt in Berlin „Vorn einsteigen und hinten raus“ und alle haben sich dran gehalten. Eigentlich effizient. Wenn es dann einen gab der hinten rein wollte, dann war das ein Mannheimer. Eigentlich war ich dann der einzige, der hinten in den Bus eingestiegen ist.
rnv-Blog: War es nicht eigenartig als waschechter „Monnemer“ im „Icke-Berlin“? Wie waren die Berliner Busfahrer-Kollegen?
Weber: Naja. Mir waren halt die Wessis (lacht). Die Berliner haben uns Monnemer schlechter verstanden, als wir die. Die Berliner Kollegen haben aber nicht gern unsere Busse gefahren. Da waren die Knöpfe für die Türen anders. In den Berliner Bussen sind hinten die Türen immer automatisch zugegangen und die vordere Tür wurde vom Fahrer bedient. Und bei uns war aber der linke Knopf für Vorne und der rechte für hinten. Da haben die immer wild geschimpft.
rnv-Blog: Erinnern Sie sich an ein ganz besonderes Erlebnis beim Busfahren in Berlin?
Weber: Wir sind mit dem Bus ja auch über die Grenze gefahren, da mussten wir halten und es kamen immer zwei Grenzkontrolleure in den Bus, um Papiere zu kontrollieren. Einer ist nach oben im Bus, einer ist unten durch. Als dann der untere rausging, bin ich losgefahren. Und dann kam aber der andere von oben runtergesprungen (lacht) und rief „Halt Moment!“. Er war nicht fertig mit der Kontrolle – es wurden ja alle kontrolliert. Und beim nächsten Mal hat er dann zu mir vorn am Steuer gesagt: „Hier ist meine Mütze. Solang die liegt, nicht abfahren!“. Das war schon interessant.
rnv-Blog: Wie war es dann am Ende wieder hier zurück in Mannheim? War das Abenteuer da vorbei?
Weber: Das war schon ein Erlebnis für mich, dass wir in Berlin gefahren sind. Jederzeit würde ich das wieder machen. So eine fremde Stadt. Und mit dem Mauerfall. Eine gute Erinnerung.
Na im Juni 1990 war das Fahrgastaufkommen dort nicht mehr ganz so und die Berliner hatten sich drauf eingerichtet. Dann haben sie die Busse und die Fahrer nicht mehr gebraucht. Im Juni sind die letzten beiden Kollegen dann mit den beiden Bussen zurückgefahren. Die haben die quer durch Deutschland zurückgebracht.
rnv-Blog: Herr Weber, vielen Dank für das Gespräch.
Im Album zeigt uns Herr Weber die Fotos dieser besonderen Zeit in Berlin. Die grünen 405er Mercedes-Benz Busse der MVG neben den beigen Doppeldeckern der BVG.